Manchmal ist es bloß der Blick auf den Asphalt, der ihre Körper erstarren lässt. Dann geht bei Sandra Eichinger (47) und Anke Ahrens (52) gar nichts mehr. Beiden Frauen sind am Stiff-Person-Syndrom (SPS) erkrankt.
Die seltene Erkrankung bekam 2022 ein bekanntes Gesicht: Mega-Star Céline Dion (56) machte öffentlich, dass sie an der Autoimmunerkrankung des Nervensystems leidet. Die Sängerin kämpft seitdem täglich mit Muskelversteifungen. In ihrer kürzlich veröffentlichten Doku „I am: Céline Dion“ (Prime Video) gibt sie Einblicke in ihr Leben mit der Krankheit.
„Ich wünsche niemandem, dass er daran erkrankt, aber dank Céline Dion bekommt die Krankheit endlich mehr Aufmerksamkeit“, sagt Anke Ahrens.
Diagnose des Stiff-Person-Syndroms dauerte Jahre
Die 52-Jährige ging mehr als sechs Jahre lang von Arzt zu Arzt, um endlich eine Erklärung für ihre Symptome zu bekommen: „Es hat sich angefühlt, als würde ich Brust abwärts in einer Röhre stecken. Ganz plötzlich hat sich alles versteift und ich konnte mich kaum bewegen.“
Dazu gesellten sich weitere Beschwerden wie Ängste, Schreckhaftigkeit, aber auch Atemnot und Herzrasen. „Ich wurde lange Zeit von den Ärzten nicht ernst genommen“, sagt die Ostfriesin aus Ostrhauderfehn.
Auch Sandra Eichinger wanderte zwei Jahre durch die Praxen: „Ein Neurologe in einer Uniklinik hat gesagt, dass die Beschwerden für eine Depression sprechen. Irgendwann habe ich selbst angefangen zu zweifeln und mich gefragt, ob vielleicht doch meine Psyche krank ist.“
Ein großes Problem: durch die unspezifischen Symptome erkennen Mediziner das Stiff-Person-Syndrom oft nicht. Prof. Christoph Kleinschnitz, Direktor der Neurologie an der Uniklinik Essen, weiß, dass gerade Frauen mit solchen Symptomen oft nicht ernst genommen werden.
„Das ist tatsächlich ein Problem. Frauen erkranken häufiger an SPS. Die unspezifischen Symptome werden oft als psychologisch oder psychosomatisch eingestuft. Dadurch müssen die Betroffenen oft lange auf eine Diagnose warten“, sagt der Neurologe.
Unterschiedlichste Symptome
Kostbare Zeit, in der die unheilbare Erkrankung schleichend voranschreitet und sich mit weiteren Beschwerden bemerkbar macht: „Wenn ich mich erschrecke, dann erstarre ich und falle wie ein Stück Holz um“, berichtet Sandra Eichinger.
Bisher ist die Erkrankung nicht vollständig erforscht. Dr. Jana-Isabel Huhn-Doll, niedergelassene Neurologin mit Praxis in Velbert (NRW), erklärt: „SPS ist eine Autoimmunerkrankung. Heißt: Das Immunsystem greift den eigenen Körper an. Bei SPS sind vorwiegend die Botenstoffe im Gehirn betroffen, die für Bewegungsabläufe verantwortlich sind.“
Um eine Bewegung auszuführen, laufen im Körper komplexe Vorgänge ab: „Im Gehirn kommt es zu einer Ausschüttung von bestimmten Botenstoffen, die Bewegungen initiieren oder stoppen können. Bei SPS-Patienten kommt es durch Auto-Antikörper dazu, dass zu wenig hemmende Botenstoffe ausgeschüttet werden und es somit zu einer Verkrampfung oder Versteifung der Muskulatur kommt.“
Noch unerforscht: Die Versteifung und Spastiken treten häufig infolge eines äußeren Reizes wie laute Geräusche, Kälte oder glatte Flächen auf. „Das Versteifen der Muskeln bei Erschreck-Reizen ist ein physiologischer Prozess. Bei Patienten mit SPS kommt es durch die Überaktivität der Muskeln, und vermutlich durch die zusätzliche Ausschüttung von Stresshormonen in diesen Situationen, zu diesen plötzlichen Versteifungen und teils schweren Stürzen“, erklärt Dr. Huhn-Doll.
Anke Ahrens und Sandra Eichinger berichten, dass bei ihnen die kleinsten Dinge darüber entscheiden, wie gut sie sich bewegen können. „Am Strand oder im Sand laufe ich barfuß und mit meinen Walking-Stöcken zwei Kilometer ohne Probleme. Auf Asphalt schaffe ich oft keinen Meter und bin auf den Rollstuhl oder Rollator angewiesen“, sagt Anke Ahrens.
Sandra Eichinger ist durch die Erkrankung extrem schreckhaft geworden: „Manchmal erschrecke ich mich schon, wenn der Fernseher zu laut ist und verkrampfe.“ Wie lange die Versteifung der Muskeln anhalten und wann sie sich wieder lösen, können die Frauen nie vorhersagen.
Unberechenbar und schwer zu behandeln
„Die Krankheit ist für mich unberechenbar“, sagt Eichinger. Sie ist Mama von zwei Töchtern, arbeitet derzeit nur noch halbtags als Apothekenhelferin. „Wie lange ich das noch schaffe, ist fraglich“, sagt sie.
Anke Ahrens musste ihren Beruf bereits 2018 aufgeben: Sie nennt SPS liebevoll ihre „Pippi-Langstrumpf-Krankheit“, die macht, was ihr gefällt. Sie versucht mit der Erkrankung zu leben, obwohl sie nicht mehr reiten, arbeiten, manchmal auch nicht laufen kann.
SPS gilt als unheilbar, speziell für die Erkrankung zugelassene Medikamente gibt es nicht. Dr. Huhn-Doll erklärt: „Es gibt verschiedene Therapieansätze, die Beschwerden lindern.“ Sie werden Off-Label gegeben. Heißt: Sie sind eigentlich zur Behandlung anderer Krankheiten zugelassen, können aber auch gegen die SPS-Symptome helfen.
Dazu gehören nichtmedikamentöse Therapien (z.B. Physiotherapie oder Rehasport), muskelentspannende Medikamente (zur symptomatischen Behandlung) und Immuntherapien (z.B. mit Kortison-Präparaten, Immunglobulinen oder Immunsuppressiva).
Sandra Eichinger hat sich kürzlich einer Blutwäsche unterzogen: „Dadurch geht es mir besser und die Krämpfe sind seltener geworden“, sagt die 47-Jährige.
Forschung ist die größte Hoffnung
Wie lange die Beschwerden der beiden Frauen durch die Medikamente gelindert werden können, ist unklar. „Wir beobachten bei einigen Patienten, dass sie Toleranzen für bestimmte muskelentspannende Medikamente entwickeln und mit der Zeit immer höhere Dosen brauchen“, sagt Dr. Huhn-Doll. Höhere Dosen bedeuten oft aber mehr Nebenwirkungen. Immuntherapien sind zwar häufig effektiv, gehen aber auch mit Nebenwirkungen einher, die die Lebensqualität ebenfalls beeinträchtigen können.
Deshalb liegt die große Hoffnung der Betroffenen auf der Forschung. „Die Krankheit braucht mehr Aufmerksamkeit, damit endlich an Medikamenten geforscht wird“, sagt Anke Ahrens. Sandra Eichinger ergänzt: „SPS muss viel bekannter werden, damit andere Betroffene früher eine Diagnose erhalten und die Symptome frühzeitig ernst genommen werden.“
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